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Das mit dem Pling
Wie so oft sitze ich im Wartezimmer irgend einer unserer diversen Kinder-, Tier-, Haus-, Zahn-, Krebs- oder Frauenärztinnen und –ärzte und fleddere mich durch den Blätterwald. Meine Augen haben in den letzten drei Jahren die Unart angenommen, dass sie bei jedem Artikel pling voll drauf stechen, wenn sie irgendwo das Wort „Krebs“ ersperbern (bzw. plingpling bei „Brustkrebs“).
Und was erfahre ich heute? Ach du Scheisse – jetzt habe ich also nicht nur pling Krebs, nein, nun habe ich auch noch die dazugehörige pling „Krebsmentalität“ am Hals! Klartextmässig heisst das: Ich bin bewegungsarm, ernähre mich fettreich, bin ängstlich, anfällig für moralisierende Schuldgefühle, sozial eher isoliert, abhängig, unselbständig, gehemmt, verspüre ein anhaltendes Unwohlbefinden, bin negativ denkend bis depressiv, habe wenig Vertrauen in Selbstheilungs- und andere Heilprozesse. Sagt Helm Stierlin aus Heidelberg in seiner prospektiven Langzeitstudie mit über 33 000 Nichtkrebspatienten*). Danke schön, sehr erfreut!
Wenn ich mir mein Persönlichkeitsprofil nun so anschaue, dann überkommt mich die grösste Lust a) den Löffel jetzt gleich und auf der Stelle abzugeben oder b) dem Herrn Stierlin und seinen Spezis zu antworten: Behaltet doch euren Psychoonkoscheibenkleister für euch und kontaminiert uns nicht unser Restleben mit diesem ganzen Forschungsschrott. - Und bevor ich mir eine Maxitube Mayo grabsche und mit moralisierenden Schuldgefühlen in chronische Hoffnungslosigkeit und Bewegungsarmut versinke, lese ich, dass die Studie „nicht unbestritten“ sei. Uff, noch einmal davongekommen...
Netterweise macht mich der Artikel darauf aufmerksam, dass Krebspatienten oft an ihrer Krankheit wachsen. Ob mit oder ohne Krebsmentalität: Ich war eigentlich durchaus zufrieden mit meinen 165 Zentimetern.
Apropos Psycho: Das erinnert mich an die Geschichte mit der Psychotante im Spital. Damals sass ich als chemotherapiertes Häuflein Elend lust- und haarlos vor meinem Mittagessen. Da steht auf einmal die gewichtige Frau Psychologin vor mir und verbreitet penetranten Optimismus im Zimmer.
Sie: Na, essen Sie nichts heute? (Oder sagt sie: Na, essen wir nichts heute?) Ich: Möchte schon. Kriegs nicht runter. Und werde dünner und dünner. Sie: Ach, Sie können gerne ein paar von meinen Kilos haben. Schweigen. Sie: Wann werden Sie denn operiert? Ich: Am 12. Sie: (freudig) Ach, das ist ja grad mein Geburtstag!
Vielleicht hat die Psychologin genau diese Vorgehensweise gelernt: Die Patientin soll abgelenkt werden von ihren düsteren Gedanken. Viel lieber als an die bevorstehende Brustamputation soll sie jetzt an das freudige Ereignis des ebenfalls bevorstehenden Psychologinnengeburtstages denken, bzw. an die Stelle der Klapprigkeit des eigenen Körpers soll das Bild der bedauernswert übergewichtigen Psychologin treten. – „Eine Zumutung“, so der Kommentar meiner Zimmergenossin, die sich mitsamt ihrem Krebs unter die Bettdecke verkrochen hatte.
Jedenfalls bin ich dagegen, dass Forschungsgelder verwendet werden für derart dumme Dinge. Und von wegen Forscher: ich habe soeben im „Facts“ Nr. 6 plingpling gelesen „Bad News: Daten gefälscht. Die hoch dosierte chemotherapeutische Behandlung und die Rückenmark-Transplantation bei Frauen mit fortgeschrittenem Brustkrebs bleibt umstritten. Die Therapie hat starke Nebenwirkungen, ihre Wirkung ist zweifelhaft. Letztes Jahr hatte der südafrikanische Forscher Werner Bezwoda über grosse Erfolge mit dieser Therapie-Methode berichtet. Nun gestand er, dass seine Resultate gefälscht waren.“ Ende gut – alles Wut. Wer schaut eigentlich den Herren und Damen von der Forschung auf die Finger?
Und das mit dem Pling müssen sich meine Augen wieder abgewöhnen. Unbedingt.
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